Bisher keine Hinweise auf unsichere Arzneimittelversorgung
Auch bei Rabattarzneimitteln gibt es eine hohe Versorgungssicherheit
Laut Wissenschaftlichem Institut der AOK (WIdO) gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass Versorgungsengpässe oder Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln drohen, wie zuletzt zahlreiche Medien berichteten. Von den insgesamt mehr als 63.000 verschiedenen Arzneimitteln, die im Jahr 2023 auf dem Markt erhältlich waren und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet wurden, sind nach aktueller WIdO-Auswertung derzeit lediglich 735 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) von den pharmazeutischen Herstellern als nicht lieferfähig gemeldet. Damit waren Anfang Oktober 2024 98,8 Prozent aller Medikamente verfügbar. Zudem ist selbst bei Lieferengpässen nicht automatisch die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln beeinträchtigt: Für die aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel sind in der Regel wirkstoffgleiche Alternativen verfügbar. Unter Nutzung der einzigen amtlichen Quelle über Lieferunfähigkeiten in Deutschland zeigt sich, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland nicht gefährdet ist. „Insbesondere Arzneimittelrabattverträge tragen zu einer hohen Versorgungssicherheit bei und senken die Arzneimittelkosten,“ so die Einschätzung des WIdO-Geschäftsführers Helmut Schröder.
Grundlage der WIdO-Analyse zu ambulant verordneten Arzneimitteln sind die beim BfArM angezeigten Lieferunfähigkeiten, die von Pharmaherstellern freiwillig gemeldet werden (Stand 9. Oktober 2024). Neben einer Verfügbarkeitsquote aller Produkte von 98,8 Prozent kann auch hinsichtlich der Verordnungsabdeckung Entwarnung gegeben werden: 99,9 Prozent der im Jahr 2023 verordneten Arzneimittel sind derzeit verfügbar oder können im Falle der aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel durch identische Alternativ-Produkte oder Arzneimittel anderer Hersteller, die hinsichtlich Reichweite und Darreichungsform ähnlich sind, in der Versorgung ersetzt werden. Für diejenigen der aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel, für die es 2023 einen Arzneimittelrabattvertrag mit einer AOK gab, wird sogar eine Versorgungssicherheit von 100 Prozent erreicht. Helmut Schröder ergänzt: „Lieferengpässe sind keine Versorgungsengpässe. Im Fall von temporären Lieferschwierigkeiten stehen in der Regel in der ambulanten Versorgung genügend Alternativen anderer Hersteller zur Verfügung.“ Konkrete Einzelfälle, in denen die pharmazeutischen Hersteller ihren Lieferverpflichtungen nicht nachkommen, dürften nicht als Regelfall betrachtet werden. „Den Apotheken und Ärzten sollte es gemeinsam gelingen, aus dem Sortiment von 2.500 verschiedenen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen mit mehr als 63.500 verschiedenen Arzneimitteln eine therapeutische Alternative zu finden“, so Schröder.
Um die immer wieder behaupteten Versorgungsengpässe empirisch besser überprüfen zu können, fordert das WIdO eine verpflichtende Meldung von Lieferengpässen – vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke. Schröder: „Es ist nicht einzusehen, dass wir heute den Weg unserer Paketsendungen online mitverfolgen können, dies aber bei der ungleich wichtigeren Arzneimittelversorgung in Deutschland nicht schaffen.“
Mehr Transparenz gefordert
Weitreichende Transparenz umfasse die verpflichtende Auskunft darüber, welche Arzneimittel von welchen Her- stellern im deutschen Arzneimittelmarkt erwartet werden, welche Arzneimittel wann geliefert werden und wel- che Mengen vorrätig sind. Gleichzeitig sollten Großhändler wie auch die Apotheken die von ihnen vorgehaltenen Arzneimittel transparent machen, damit auch flexibel auf regionale Lieferengpässe reagiert werden kann. „Hierzu müsste der Gesetzgeber eine verpflichtende Dokumentation der Lieferunfähigkeiten auf den verschiedenen Stufen beauftragen. Damit könnte möglichen Lieferunfähigkeiten vorbeugend begegnet werden,“ sagt Schröder.
So enthalten etwa die AOK-Arzneimittelrabattverträge schon seit Jahren die Vorgabe, dass die Vertragspartner die AOK über nicht lieferbare Vertragsprodukte verpflichtend informieren müssen. Um die Liefersicherheit noch zu erhöhen, müssen die Vertragspartner außerdem einen ausreichenden Arzneimittelbestand vorhalten – und das bereits vor Vertragsstart. „Hilfreich sind dafür exklusive Verträge, da Pharmafirmen ihre Absatzmengen so besser kalkulieren können, als wenn sie im Rahmen von Mehrpartnerverträgen mit mehreren Anbietern konkurrieren müssen“, erklärt Schröder.
In diesem Zusammenhang verweist der Arzneimittelexperte auch darauf, dass Pharmaunternehmen zumeist global agierende, börsennotierte Unternehmen sind. Der deutsche Markt hingegen hat nur einen Anteil von rund vier Prozent am weltweiten Arzneimittelumsatz. Daher spiele die Versorgung in Deutschland laut Schröder nur eine geringe Rolle am globalen Markt. „Die Arzneimittel-Rabattverträge für global auftretende Lieferengpässe verantwortlich zu machen, ist abwegig“.
Geringere Ausgaben
Die Krankenkassen nutzen die seit 2007 vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit, Rabattverträge für Generika-Wirkstoffe zu verhandeln: Im Jahr 2023 waren unter den insgesamt 2.493 ambulant verordneten Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen 781 bei mindestens einer Krankenkasse rabattiert. Dies bedeutet für die Apotheken in Deutschland, dass sie nicht mehr unbedingt alle verfügbaren verschiedenen Arzneimittelpackungen bevorraten müssen, da es Substitutionsmöglichkeiten gibt. Neben positiven Effekten für die Versorgungssicherheit in den Apotheken sorgen Arzneimittel-Rabattverträge außerdem für geringere Arzneimittelausgaben. „Im Jahr 2023 konnten die Arzneimittelausgaben durch Rabattverträge GKV-weit um 5,83 Milliarden Euro gesenkt werden. So tragen die Rabattverträge entscheidend zu einer wirtschaftlichen und qualitativ hochwertigen Versorgung der Patientinnen und Patienten bei“, so das Fazit von Schröder.